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Childhood-Haus-Netzwerk-Fachtagung in Deutschland

Gemeinsam haben die World Childhood Foundation Deutschland und das Childhood-Haus Berlin, im März zur ersten deutschlandweiten Fachtagung eingeladen. Viele Interessierte anderer Childhood-Häuser, sowie Mitarbeiter:innen von Kinderschutzambulanzen, Jugendämtern, Mitwirkende des UBSKM, der Aufarbeitungskommission, dem Präventionsnetzwerk Kein-Täter-werden uvm. sind zusammengekommen, um an Vorträgen und Workshops zum Thema Inter- und Transdisziplinärer Kinderschutz teilzunehmen. Iinterdisziplinär deshalb, weil durch die Kooperation der unterschiedlichen Professionen Pädiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Rechtsmedizin, Rechtspsychologie, Kindergynäkologie, Sozialpädagogik und Pflege, mehr Erkenntnisse für ein Fallverstehen erlangt werden soll. Die Transdisziplinarität zielt darüber hinaus auf neue Erkenntnisse, indem die verschiendenen Disziplinen nicht streng voneinander abgegrenzt werden und auch die Zivilgesellschaft miteinbezogen wird.

Inspiriert von den amerikanischen Beratungsstellen für Kinder, dem Child Advocacy Center, entwickelte 1998 der Isländer Bragi Guðbrandsson, Mitglied des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes, das Barnahus, übersetzt Kinderhaus. Dieses Modell enger Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft wurde, teils mit unterschiedlichen Konzepten (Anbindung an das Polizei-System, an die Kinder- und Jugendhilfe oder an Universitätskliniken), unter anderem von Schweden übernommen. Aufgrund ihrer Nähe zu Deutschland unterstützte Königin Silvia von Schweden mit der World Childhood Foundation, und in Anlehnung an das skandinavische Barnahus Modell, 2018 das erste deutsche Childhood-Haus in Leipzig.

Im darauf folgenden Jahr eröffnete das Childhood-Haus in Heidelberg und 2020 das Childhood-Haus Berlin. Dieses befindet sich in der Trägerschaft der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin und reiht sich in das bereits existierende Berliner Kinderschutznetzwerk ein. So ergibt sich eine Zusammenarbeit mit der Trauma–Ambulanz im eigenen Haus, den sechs Berliner Kinderschutz-Ambulanzen und der Jugendhilfe.

Hintergrund für eine inter- und transdisziplinäre Vorgehensweise bei Gewalttaten ist die Wahrung der Kinderrechte. Kinder, die, mutmaßlich oder tatsächlich, Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, haben ein Recht auf eine kindgerechte, sensible und möglichst einmalige Befragung. Ein Befragungsrecht behalten sich in Berlin die Richter:innen vor. Leider sind aktuell bei weitem noch nicht alle von Ihnen im Umgang mit traumatisierten Kindern ausreichend qualifiziert. In der Praxis ist es zudem, nicht einmal übergangsweise, möglich, dass Aufnahmen von Fachleuten aus Fachberatungsstellen oder Kinderschutzambulanzen vor Gericht Verwendung finden. Deshalb werden Kinder nach wie vor von mehreren, auch unqualifizierten, Erwachsenen befragt. Durch die per Video aufgezeichnete Aussage soll verhindert werden, dass Kinder vor Gericht aussagen müssen, um einer Retraumatisierung entgegenzuwirken. Findet eine unsensible Befragung statt, kann dennoch eine Retraumatisierung ausgelöst werden. Deshalb wünscht sich TABUMOVE an dieser Stelle mehr Einsicht auf Verantwortungsebene und mehr Vertrauen in Expert:innen des Kinderschutzes.

Darüber hinaus wird im Childhood-Haus psychologische Betreuung und Traumatherapie angeboten. Fachkräfte des Gesundheitswesens tauschen sich mit der Kinder- und Jugendhilfe aus und vernetzen sich. Diese koordinierte Zusammenarbeit beider Systeme soll ermöglichen, Familien frühzeitig passgenaue Hilfen anzubieten. Dabei muss auch der Datenschutz in der behördenübergreifenden Zusammenarbeit Berücksichtigung finden. Im Besonderen sollen Verfahren zügiger verlaufen, indem die Strafverfolgungsbehörden von Beginn an vor Ort sind, was zu kurzen Kommunikationswegen führt. Dennoch sind Spannungsfelder vorprogrammiert, da unterschiedliche Professionen unterschiedliche Handlungsspielräume haben. Aus medizinischer Sicht muss eine kindergynäkologische Untersuchung beispielsweise möglichst bald stattfinden, aus psychotraumatologischer Perspektive kann diese zu belastend erscheinen. Weiter müssen die polizeilichen Ermittlungen und die Abklärung einer möglichen Kindeswohlgefährdung immer gleichermaßen im Blick behalten werden. Von daher sind auch die Haltung und die persönlichen Eigenschaften der Akteur:innen, wie hohe (selbst)kritische Reflexionsfähigkeit, Kommunikationsbereitschaft und Teamfähigkeit, von großer Bedeutung für einen gelingenden Kinderschutz. Für einen reibungslosen Ablauf zwischen den Systemen trägt maßgeblich die Lotsenfunktion einer:s Casemanagers:in bei.

Aus Betroffenenperspektive und unter dem Aspekt, möglichen Traumafolgen entgegenzuwirken, halte ich eine inter- und transdisziplinäre Vorgehensweise für einen Schritt in die richtige Richtung. Kinder und Jugendliche mit sexualisierten Gewalterfahrungen sollten jedoch auch in Kinderschutzambulanzen (KSA) vorgestellt werden dürfen. Das würde wahrscheinlich die Wartezeiten verkürzen. Und zusätzlich käme es zu einem erweiterten Wissen  über dieses Phänomen bei den Fachleuten (Ärzt:innen, Kinderkrankenpfleger:innen, Psychiater:innen, Psycholog:innen, und Sozialarbeiter:innen). 

Ich stelle folgende These zur Diskussion: Eine traumasensible Befragung und der sichere Ort eines Childhood-Hauses, in dem das Gefühl vermittelt wird, dass Opfern geglaubt und ihnen geholfen wird, das Erlebte zu verarbeiten, verkürzen Therapiezeiten, und wirken sich somit positiv auf das persönliche als auch auf das gesellschaftlich ökonomische Wohl aus. 

Weiterführende Links
Childhood-Haus: https://www.childhood-de.org
Das Promise-Projekt für die Implementierung des Barnahus-Modells in weiteren europäischen Staaten 

Adresse
Childhood-Haus Berlin
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Intern: Mittelallee 8 – Kinderklinik  4. Obergeschoss